Hintergründe der politischen Stabilität in Liechtenstein

Historisch betrachtet, steht Liechtenstein nach mehr als 300 Jahren Existenz in unveränderten Grenzen, mit durchgehend regierenden Fürsten von Liechtenstein, staatlicher Souveränität seit 1806 und unbeschadetem Überstehen von zwei Weltkriegen für Kontinuität und Stabilität wie kein anderes Land in Europa. Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung seit den 1940er-Jahren, der Ausbau des Sozialstaates, beträchtliche finanzielle Reserven des Staates und der Gemeinden, geringe Arbeitslosigkeit und eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit boten in den zurückliegenden Jahrzehnten zusätzlich günstige Rahmenbedingungen für politische Stabilität. Sie fußt jedoch nicht nur auf Tradition, Kontinuität und wirtschaftlichem Erfolg, sondern auch auf Besonderheiten des politischen Systems und des politischen Verhaltens in Liechtenstein.

Politisches System. Seit der Verfassung von 1921 besteht eine Machtteilung zwischen Fürst und Volk. Liechtensteins Staatsform ist keine reine Demokratie, sondern eine Mischung aus Demokratie und Monarchie. Der Landesfürst nimmt eine starke Stellung im Staat ein, welche insbesondere durch das Sanktionsrecht, das Recht der Regierungsentlassung und das Recht, den Landtag aufzulösen, unterstrichen wird. In der Praxis ist das Sanktionsrecht am bedeutendsten, da der Fürst sein Veto bei Verfassungs- und Gesetzesbeschlüssen einlegen kann, ebenso bei Finanzbeschlüssen oder neuen Staatsverträgen. Die Regierung als Exekutive und der Landtag als Legislative müssen daher das Gespräch und den Konsens mit dem Fürsten suchen. Ein Konsensoder Kompromissdruck geht zusätzlich direkt vom Volk aus. Dank umfassend ausgebauter direktdemokratischer Rechte – insbesondere Volksinitiative und Referendum – können die Stimmberechtigten direkt in das politische Geschehen eingreifen. Dies beeinflusst von vornherein die Debatten im Landtag, indem ein möglichst breiter Konsens angestrebt wird, so dass ein Landtagsbeschluss auch bei einem Referendum bestehen würde. Mitunter legt der Landtag bereits von sich aus einen Landtagsbeschluss dem Volk zur Abstimmung vor.

Soziale Faktoren. Einen mäßigenden Effekt auf den politischen Umgang in Liechtenstein hat neben den politischen und wirtschaftlichen Faktoren auch das soziale Gefüge. Im Kleinstaat mit einer Bevölkerung von knapp 40.000 Personen bestehen enge soziale, familiäre und nachbarschaftliche Verbindungen. Die Sozialstruktur war in Liechtenstein in der landwirtschaftlich geprägten Vergangenheit relativ homogen. Trotz wirtschaftlicher Diversifizierung und starker Zuwanderung im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs – auch von Arbeitskräften mit anderer Muttersprache und anderer Religion – zeigt sich keine Spaltung der Gesellschaft. Mit wenigen Ausnahmen herrscht hohe Zufriedenheit mit der eigenen Situation, wenngleich nicht alle Menschen am Wohlstand gleichermaßen teilhaben.

Eingeschränkte Souveränität. Liechtenstein ist über den Zollvertrag an den Schweizer Wirtschaftsraum angebunden und über die Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum in den europäischen Binnenmarkt integriert, womit seine souveräne Entscheidungsmacht in einigen Belangen eingeschränkt ist. Teilweise
erübrigen sich daher politische Auseinandersetzungen über Agenden, die ohnehin nicht in Liechtenstein zu entscheiden sind. Da gleichzeitig eine extrem hohe Akzeptanz für die beiden genannten Vertragswerke vorhanden ist, entsteht auch keine Konfliktlinie, an welcher sich allfällige Nationalisten gegenüber Befürwortern einer internationalen Einbindung öffentlichkeitswirksam profilieren könnten.

Politisches Verhalten. Der im politischen und sozialen System angelegte Kompromissdruck prägt die Akteure des politischen Systems. In der Parteienlandschaft finden sich keine linksextremen oder rechtsextremen Parteien, viele Beschlüsse im Landtag werden einstimmig gefasst. Seit 1938 bis in die Gegenwart regieren die beiden größten Parteien – die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP) und die Vaterländische Union (VU) – fast ununterbrochen in einer Koalition. Trotz gelegentlich gravierender Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien verlaufen die Debatten meist rücksichtsvoll, sachlich und zielorientiert. Die Tendenz zur politischen Mitte zeigt sich auch bei den Bürgerinnen und Bürgern. Umfragen bestätigen, dass sich die überwiegende Mehrzahl persönlich in der politischen Mitte verortet. Als Regierung wünschen sich die meisten eine Koalition der Großparteien oder sogar einer Allparteienregierung. Generell ist man mit der Politik im Land zufrieden, hat hohes Vertrauen in die politischen Institutionen sowie großes politisches Interesse; 77,8 Prozent der Stimmberechtigten beteiligten sich anden Landtagswahlen 2017, bei besonders wichtigen Vorlagen kann die Stimmbeteiligung bei Volksabstimmungen sogar nahe bei 90 Prozent liegen. So definierte der Politikwissenschaftler Arno Waschkuhn die Charakteristik des politischen Systems und des politischen Verhaltens mit: Mitte – Mischung – Mäßigung.

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